Die gefundenen Worte
Verlorene Worte
von ahd. līdan und mhd. līden für „ertragen, erdulden, dulden“, auch in Verbindung stehend zu ahd. gilīdan, „mit jemandem dulden“, ahd. līdan auch im Sinne des alten Gebrauchs von „fahren, vergehen, sich fortbewegen“, „dahingehen, sterben“, so dann auch mhd./mnd. līden für „gehen, vorübergehen“ ebenso wie für „Leiden, Trübsal, Plage“; dazu erleiden, Tätigkeitswort, von ahd. irlīdan, mhd. erlīden, „etwas bis zu Ende gehen, ertragen müssen, erdulden“, was damit zusammenhängend die Bedeutung von „etwas durchstehen, bestehen, erleben, ertragen“ in sich trägt – ganz im Sinne von „Zeit vergehen lassen“, dabei „in Bewegung sein“, jedoch durch die innerliche Seelenregung.
Siehe dazu auch unseren Wortfinder-Rundbrief 18_KW13/2022 „Bewußtsein und Gewahrsein durch das Üben in Geduld“.
Zu beachten ist die große Wortgruppe, die sich im Zusammenhang mit Leid, das, Hauptwort, ergibt; hier ursprünglich „großer Kummer, seelischer Schmerz“, ahd. leid sowie mhd. leit, „das angetane Böse, Unrecht, Schädigung, Kränkung, Beleidigung, Sünde“, „durch Schädigung hervorgerufener Kummer, Schmerz, Betrübnis, Sorge, Verdruß“; auch „anhaltende Krankheit, Qual, Pein“.
Mitte des 17. Jhs. / im Lauf des 18. Jhs. als gebräuchliche Übersetzung des franz. Wortes passion und passibilité, was eigentlich die „Leidens- und Empfindungsfähigkeit“ bezeichnet, im Deutschen wird diese Fähigkeit ab dieser Zeit – verstärkend zu Leiden – mit Leidenschaft übersetzt; auch aus anderen Sprachwurzeln ergibt sich ursprünglich „Empfindsamkeit, Leidensfähigkeit, Leiden“, was dann allgemein in Bezug auf diese Fähigkeit zu tieferer Empfindung mit Leidenschaft zum Ausdruck kommt; es gilt als „heftiges inneres Streben“ im engeren Sinne, bei der die Gemütsbewegungen und der Wille im Zusammenspiel bestimmend sind und denen sich das Verhalten unterordnet; so kann sie „Triebfeder“ für erfolgreiches Handeln sein und zu Leistungen anspornen (sofern sie das „sittliche Handeln“ nicht beeinträchtigt);
davon ausgehend Leidenschaft als ein Zustand des sowohl belastenden, aber gleichermaßen ebenso erhebenden Leidens (innerer Ansporn) aufgrund eines „vollständigen Beherrschtseins der Seele durch übermächtige innere Antriebe“, daher auch Gemütsbewegungen als Leidenschaften bezeichnet, weswegen ein Mensch, der sich davon „fortreißen“ läßt, auch als leidenschaftlich gilt (auch im besten Sinne, um etwas aus innerem Antrieb zu erreichen – nicht nur „im Wahne“); somit in seiner Bedeutungswandlung im Lauf der Zeit als „intensive, das gesamte Verhalten bestimmende und vom Verstand nur schwer zu steuernde emotionale Reaktion“; „heftige Zuneigung zu einer Person, ausgeprägter Hang zu bestimmten Tätigkeiten oder Dingen“;
dazu leidenschaftlich, Eigenschaftswort, „von Leidenschaft getrieben, überaus heftig, von starker Zuneigung, großer Begeisterung erfüllt“ (18. Jh.); leidlich, Eigenschaftswort, „gerade noch zu dulden, erträglich, halbwegs gut“ (15. Jh.); spätmhd. līdelich, „leidend, für körperliche Leiden empfänglich, geduldig“ (zu mhd. līden, siehe oben).
„Ewig aus der Wahrheit Schranken
Schweift des Mannes wilde Kraft;
Unstät treiben die Gedanken
Auf dem Meer der Leidenschaft;
Gierig greift er in die Ferne,
Nimmer wird sein Herz gestillt;
Rastlos durch entlegne Sterne
Jagt er seines Traumes Bild.“
(Friedrich Schiller (1759–1805), Dichter und Begründer des „Deutschen Idealismus“, aus: „Würde der Frauen“, 1796)
„[…] die Leidenschaft wagt alles und vollendet das Schwierigste wie ein Spiel; die Leidenschaft ist gefährlich, sie vertraut sich selbst mit dem äußersten Gedanken der plötzlichen Vernichtung, wie mit der Gewohnheit eines Nachmittagsschläfchens; die Leidenschaft ist vorsichtig, denn sie ahnt mit seltenem Instincte den Feind auch unter der listigsten Maske. – Aber diese Leidenschaft ist selten wie das Genie und kann billigerweise außer Ansatz bleiben, wo landläufige Menschenkinder um Gunst und Ungunst spielen, und wohlhabende Männer auf’s Freien ausgehen.“
(Hans von Hopfen (1835–1904), Schriftsteller, aus: „Arge Sitten“, 1869)
„Es ist uns oft, als wenn verschiedene Geister in unserm Innern herrschten,
und die verschiedensten Kräfte der Maschine unsers Leibes regierten.
Wir thun Dieses, Jenes, mit Eifer, mit Leidenschaft sogar, wir meinen,
unser ganzes Leben geht in dieser und jener Bestrebung auf,
– und plötzlich ersteht in uns ein ganz neuer Wunsch,
eine unbekannte Erfahrung, und mit dieser ein ganz verwandeltes Dasein.“
(Johann Ludwig Tieck (1773–1853), Dichter, Schriftsteller, Übersetzer, aus: „Dichterleben. Zweiter Theil“, 1831)
Zusammengesetzt aus den Wörtern „der Morgen“ und „schön“. Morgenschön drückt die Schönheit am Morgen eines Tages, eines Lebens aus, frisch, jung, unverletzt, gerade aufgeblüht – eben morgenschön.
Drückt die Beziehung einer Mutter zu ihrem kleinen Kind aus und bedeutet „behüten, umsorgen“.
Von althochdeutsch muoter, Verbindung zu altindisch matar. Im engen biologischen Sinn bezeichnet Mutter die „Frau, die ein/das Kind geboren hat“. Allgemein steht Mutter für „die Frau im Verhältnis zu ihrem Kind“, der „weibliche Elternteil“. Der Figur und Rolle der Mutter wird in vielen Kulturen und Religionen eine besondere Bedeutung zugemessen.
Steht für Mutter, aber auch für alles, was eine Mutter in ihrem Wesen ausmacht.
Bedeutet „einsam“, „für sich“, „ohne Gesellschaft“, „getrennt von anderen“, „vereinsamt“, „ohne Hilfe“.
Weiterbildung zu sacht; Weiterführung auf Sachtsamkeit, die, Hauptwort, und sachtsamlich, Eigenschaftswort, Sachtsinn, der, Hauptwort, „milder Sinn“, nd. Sagtsinn; sachtsinnig, Eigenschaftswort, und Sachtsinnigkeit, die, Hauptwort.
Eine weitere Herleitung lt. Johann Jakob Spreng: sacht, in der Bedeutung von „waich“, „lind“, „sachte Eÿer, lindgesodtene Eÿer“, „sachtes Bette“, „sanftes Bette“, „sachter Winter“, „gelinder Winter“.
„Demut / Sanffimut / sachtmut / Gedult / Liebe / Freude / Messigkeit /
trösten die Betrübten / verföhnen die Feinde / Mitleiden haben /
vnd nach vermögen helffen allen so in nöthen stecken / Friede“
(Zacharias Praetorius (1535–1575), Poet und Theologe, aus: „Sylua pastorum – Das ist, Materienbuch aller handt predigten“, 1575)
„bald muszten auch zur selben zeit
die Jesuiter als falsche leut
ohn sack und pack aus weichen
und also immer naus wandern hin.
fein sachtsam thäten sie schleichen.“
(Herausgeber: J. Opel u. A. Cohn, aus: „Eine Sammlung von historischen Gedichten und Prosadarstellungen“, Halle, 1862)
„mit den Zähnen knirschen“, „Schmerzen verursachen“, „brüllen“, oder auch ergrimmen, Tätigkeitswort, „zornig werden“, „jemanden zornig machen“.
„Bauchgrimmen haben“ ist eine heute noch übliche Verwendung von grimmen und steht für „Bauchschmerzen haben“, auch im übertragenen Sinne für „Unbehagen empfinden“
oder auch grimmig, Eigenschaftswort, „von Grimm erfüllt“, „grausam“, „zornig“, „wütend“, „tobend“. Verwendungsbeispiele sind: „grimmiger Schlachtruf“, „grimmige Blicke“, „er sah ihn mit ingrimmiger Wut an“, „grimmig zogen sie zum Kampf“
Mhd. grim, mnd. grimme, bedeutet „Wildheit, Zorn, heftige Wut“.
Mhd. grim, mnd. grimme, bedeutet „Wildheit, Zorn, heftige Wut“. Bei Ingrimm ist die Präposition „in“ als Ausdruck für die zeitliche und räumliche Lage vorangestellt. „In“ ist häufig erstes Glied von Zusammensetzungen, wie bei „Inbrunst“, „Ingrimm“, „Insasse
ahd., mhd., „ärgerlich, wütend“, stammt von dem Hauptwort Fuchtel, die, „Degen mit breiter Klinge“.
Es ist eine Beschreibung für die militärische Erziehung, welches heute noch in der weit verbreiteten Aussage „Unter der Fuchtel stehen“ bekannt ist, womit eine Parallele zum militärischen Drill als Sinnbild für ein Ungleichgewicht in einer Beziehung gezogen wird.
Das Hauptwort Fucht beschreibt eine heftige Armbewegung, welches von dem Tätigkeitswort fechten abgeleitet ist. In der Schweiz ist das Wort fuchten als Synonym für „zanken, streiten“ bekannt. Die grundsätzliche Bedeutung ist also „zornig, kämpfen, streiten“. Wer mit den Armen herumfuchtelt ist also „zornig, streitsüchtig oder kampfeslustig“
Eine „kleine, heitere Geschichte“, ein „Schwank“, eine „volksnahe, unterhaltsame Erzählung“ oder eine „spaßige oder wunderliche Begebenheit“.
Zum Beispiel lautet der Titel eines Buches: „Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund“, Autor Ulrich Jahn, Erscheinungsjahr 1890.
Die Schnurre leitet sich ab vom Tätigkeitswort schnurren, „ein gleichmäßiges summendes/rauschendes Geräusch von sich geben“, z. B. das Schnurren der Katzen oder das Schnurren eines Spinnrades, mhd. snurren, und führte dann zur Bezeichnung von „Lärminstrumenten“ als Schnurren, zu schließlich Schnurre für „Schwank, heitere Erzählung“.
Von mhd. wân und von mnd. wanschapen oder wantschapen, in der Bedeutung von „mißgestaltet, häßlich“ (Personen und Dinge), „ungeschaffen, ungestalt“, „unförmig, übel gebildet“, auch „verrückt“;
abgeleitet von wahn, Eigenschaftswort, ahd./asächs. wan, „mangelhaft“, „fehlend, leer, nichtig“, „unerfüllt, das volle Maß nicht haltend“, dazu im Sinne von „erfolglos, ermangelnd“, „gehaltlos“; so bedeutet beispielsweise wahnwitzig, Eigenschaftswort, folglich auf seiner eigentlichen Bedeutungsebene „ohne Verstand, bar jeder Vernunft“, „des Verstandes mangelnd oder beraubt“, „völlig unsinnig, verrückt“; auch als Weiterbildung von ahd. wanawizzi, mhd. wanwiz, wanwitze, „töricht, unsinnig“, „keinen Verstand habend, geistig schwach“ („der Witz“, Hauptwort, hier als „Verstand“);
dazu ebenso Wahn, der, Hauptwort, von mhd./mnd. wān, „Hoffnung, Erwartung“, Herausbildung im Sprachgebrauch als „(krankhafte) Einbildung, unbegründete Ansicht, Vorstellung“, auch als „unbegründete Hoffnung, Erwartung“, eigentlich lediglich „Gewünschtes, Ersehntes“; seit dem Mhd. im Gegensatz zu „Wissen und Wahrheit“ gestellt; dann Entwicklung im Fnhd. zu „willkürliche Vorstellung, die nicht der Wirklichkeit entspricht“ (16. Jh.), schließlich zu „Selbsttäuschung, fixe Idee“ als krankhafte Erscheinung (18. Jh.), wodurch die Nähe auch zu wähnen, Tätigkeitswort, ahd. wānen (8. Jh.), erkennbar wird, hier allerdings auch nur in der Bedeutung „glauben, meinen“, „vermuten, erwarten, hoffen“, noch ohne jegliche Bewertung einer vermeintlich vorliegenden „Verrücktheit“ oder „Geistesleere“;
siehe auch in Verbindung zu Wahnwitz, der, Hauptwort, „abwegiges, törichtes Verhalten“, und Wahnsinn, der, Hauptwort, die die Bedeutung von wahnschaffen beinhalten.
„So wantschapen sind die Menschen an manchen Orten.“
(Johann Ludwig Tieck (1773–1853), Dichter, Schriftsteller, Übersetzer, aus: „Der 15. November“, Novelle, 1827)
„die Prisken und die Casken
sind wesenlose masken;
die Casken und die Prisken
wahnschaffne basilisken.“
(August Wilhelm von Schlegel (1767–1845), Literaturhistoriker, aus: „Gedichte“, 1800)
„Man wird dabei an unsre Modejournale erinnert: die Männer wahnschaffen dünn geschnürt
und wie verwachsen, die Frauenwesen weit dekolletiert, mit Puffen und Falten am Kleide,
wobei das Kleid wie ein breiter Kegel nach unten sich weitet.“
(Theodor Birt (1852–1933), sprachwissenschaftlicher Autor und Altphilologe, aus: „Das Kulturleben der Griechen und Römer in seiner Entwicklung“, Leipzig, 1928)