Die verlorenen Worte
Sinn
Wort, das wir täglich benutzen. Wir wissen um seine ursprüngliche Bedeutung – und doch vermuten wir: Auch dieses Wort ist der deutschen Sprache in seiner tief spürbaren Klarheit verlorengegangen, weil seine Bedeutung verdreht und verwässert wurde. der Sinn, Hauptwort: „Fähigkeit, Reize zu empfinden, Denken, Gedanken, Gesinnung, Gemüt, Verstand, geistiger Inhalt“, ahd. (9. Jh.), mhd. sin, stellt sich zu dem unter sinnen (s.d.) behandelten Tätigkeitswort. Häufig in festen Wendungen wie bei Sinnen („bei Verstand“) sein, mhd. bī sinne sīn; von Sinnen („nicht bei Verstand“) sein, vgl. mhd. von sinnen komen; Sinn: „Lust, Neigung“ für etw. haben“ (18. Jh.), im Sinn haben: „beabsichtigen“ (Anfang 17. Jh.), seine fünf Sinne beisammen haben: „gesunden Menschenverstand besitzen“; sinnig, Eigenschaftswort: „durchdacht, überlegt“, ahd. sinnīg: „mit Sinnen, Vernunft begabt, verständig, erkennend, weise“; mhd. sinnec, sinnic: „verständig, besonnen, klug, sinnreich“; unsinnig, Eigenschaftswort: „ohne Sinn, töricht, unvernünftig, absurd“, ahd. unsinnīg (um 1000), mhd. unsinnec, -sinnic: „nicht bei Verstand, verrückt, sinnlos“. der Unsinn: „Albernheit“, „Torheit, Raserei, Wahnsinn, Bewußtlosigkeit“; sinnlich, Eigenschaftswort: „mit den Sinnen wahrnehmbar, körperlich, sexuellen Dingen leicht zugänglich“, von der Mehrzahl Sinne ausgehend; mhd. sin(ne)lich: „durch die Sinne geschehend“, im Unterschied zu mhd. geistec: „verständig, klug“; dazu die Sinnlichkeit, Hauptwort, mhd. sinnelīcheit; sinnlos, Eigenschaftswort: „ohne Sinn und Verstand, zwecklos, ohne Zusammenhang“, ahd. sinnilōs: „nicht mit Sinnen begabt, wahnsinnig“; mhd. sinnelōs: auch „ohnmächtig, bewußtlos“; übersinnlich, Eigenschaftswort: „mit den Sinnen nicht wahrnehmbar, übernatürlich“; das Sinnbild, Hauptwort: „Symbol“ , Übersetzung für „Emblem“, zunächst für eine mit den Augen wahrnehmbare Darstellung allegorischen Inhalts, seit dem 18. Jh. für „Symbol“; das Sinngedicht, Hauptwort: Übersetzung für „Epigramm“; sinnreich, Eigenschaftswort: „zweckentsprechend“, mhd. sinnerīche: „verständig, klug, erfahren, scharfsinnig“; sinnvoll, Eigenschaftswort: „gehaltvoll“, „zweckdienlich“. der Sinn, Hauptwort: „Ziel und Zweck, Wert, der einer Sache innewohnt“; „etwas hat seinen Sinn verloren“, „es hat keinen, wenig, nicht viel Sinn (ist sinnlos, zwecklos), damit zu beginnen“, „etwas macht keinen/wenig Sinn“; „nach dem Sinn des Lebens fragen“. „Ich weiß nicht was soll es bedeuten, Daß ich so traurig bin; Ein Märchen aus uralten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn.“ (Heinrich Heine (1797-1856), „Lied von der Loreley“, 1824) „Wer die tiefste aller Wunden Hat in Geist und Sinn empfunden Bittrer Trennung Schmerz; Wer geliebt was er verloren, Lassen muß was er erkoren, Das geliebte Herz, Der versteht in Lust die Tränen Und der Liebe ewig Sehnen Eins in Zwei zu sein, Eins im andern sich zu finden, Daß der Zweiheit Grenzen schwinden Und des Daseins Pein. Wer so ganz in Herz und Sinnen Konnt' ein Wesen liebgewinnen O! den tröstet's nicht Daß für Freuden, die verloren, Neue werden neu geboren: Jene sind's doch nicht. Das geliebte, süße Leben, Dieses Nehmen und dies Geben, Wort und Sinn und Blick, Dieses Suchen und dies Finden, Dieses Denken und Empfinden Gibt kein Gott zurück.“ (Karoline von Günderrode (1780-1806), Dichterin, „Die eine Klage“) Ich ging im Walde So für mich hin, Und nichts zu suchen, Das war mein Sinn. Im Schatten sah ich Ein Blümchen stehn, Wie die Sterne leuchtend, Wie Äuglein schön. Ich wollt´es brechen, Da sagt es fein: Soll ich zum Welken Gebrochen sein? Ich grub´s mit allen Den Würzlein aus, Zum Garten trug ich´s Am hübschen Haus. Und pflanzt´ es wieder Am stillen Ort, Nun zweigt es immer Und blüht so fort. (Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)) „Ich kann mit allen Sinnen mir selber nicht entrinnen.“ „Wie ich bin, so ist mein Sinn.“ (beide Zitate aus: Deutsches Sprichwörter-Lexicon von Karl Friedrich Wilhelm Wander, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21)