Die verlorenen Worte
wetterleuchtend
von frühnhd. wetterleichen (ohne das später eingefügte -t) für „blitzen“, wie in frühnhd. „es wetterleicht“, in Anlehnung an „leuchten“; siehe auch mdh. Weterlech(e), -liche, -leich für „Blitz“ sowie ahd. Wetarleih als „Wettertanz, Wetterspiel“ – ursprünglich als Zusammensetzung von „Wetter“ und „leichen“ (noch ohne -t wie in „leuchten“); leichen, Tätigkeitswort, hier von mhd. leichen in der früheren Bedeutung „hüpfen, springen, sich rasch bewegen, tanzen“, auch „aufspringen, spielen“; dazu Leich, der, Hauptwort, „Gesang aus ungleichen Strophen“ im Mittelalter, ahd. leih, für „Lied, Spiel, Melodie, Gesang“; wetterleuchtend heute nur noch verwendet in Bezug auf die Wettererscheinung „blitzen ohne (hörbaren) Donner“, „Wiederschein eines entfernten Blitzes“: „es wetterleuchtet“, „draußen ist Wetterleuchten“.
Die Bedeutung des Wortes war eine Zeit lang auch auf Seelisches und Geistiges übertragen worden, wie in oben aufgeführtem Gedicht von Joseph von Eichendorff, letzte Zeile: „Und es schweifen leise Schauer wetterleuchtend durch die Brust“ für „seelische Regungen“ oder eine „unbewußte Sehnsucht, die sich in der Seele regt, auch durch Erinnerungen an Vergangenes“; ebenfalls verwendet für z. B. „plötzliche Eingebungen, Verstandesblitze, genialische Einfälle“ – sie sind das „Wetterleuchten des Verstandes“ (Thomas Abbt (1738–1766), Schriftsteller und Philosoph); Gebrauch aber auch im gegensätzlichen Sinn: „Es ist eitel Thorheit, aus der vielleicht etwas Verstand nur wetterleuchtet“ (Friedrich Maximilian Klinger (1752–1831), Dichter und Dramatiker), sich also nur kurz zeigt, d. h. kurz „aufblitzt“, um gleich wieder zu verschwinden.
Auch bezogen auf das von „seelischer Bewegung durchzuckte Mienenspiel“, zu sehen vor allem im „Leuchten“ oder „Blitzen“ der Augen: „ein wetterleuchtender Blick“; sinnbildlich auch für Vorboten oder aufziehende Anzeichen kommender Geschehnisse: „ein Ereignis wetterleuchtet schon“, „ein wetterleuchtendes Verhängnis“, das sich ankündigt (z. B. politische oder gesellschaftliche Entwicklungen).
Die innere Regung „wie ein wetterleuchtender seelischer oder geistiger Schauer“ wird gut in folgendem Zitat veranschaulicht:
„Doch jetzt, wie eine schwüle Sommernacht,
Liegt brütend, süß und peinigend zugleich
Ein schwerer Nebel über meinen Sinnen,
Den der Gedanken fernes Wetterleuchten,
Jetzt hier, jetzt dort, und jetzt schon nicht mehr da,
In quälender Verwirrung rasch durchzuckt.“
(Franz Grillparzer (1791–1872), aus „Sappho“, ein Trauerspiel in fünf Aufzügen, 1818)