Die verlorenen Worte
Wald
„Eine größere, dicht mit Bäumen bestandene Fläche“. So kurz ist die Beschreibung für Wald im Wörterbuch. Aber ist Wald nicht mehr als Holz und Bäume?
Wald hat sich von einem Wort, das einen Begriff für einen materiellen Gegenstand darstellt bzw. für einen Gegenstand der wirklichen Welt steht (wie Stein, Blume, Erde, Gabel), zu einem Wort weiterentwickelt, das auch eine geistige Erlebniswelt in uns hervorruft. Bei dem Begriff „Wald“ waren es insbesondere die Dichter der Romantik, die den Wald für das innere geistige Erleben erschaffen haben, Wald als einen Raum der Ruhe, der Erquickung, der Verwandlung. Aber auch bereits in unseren Märchen spielt der Wald eine wichtige Rolle, der Wald als Ort, wo jemand verlassen wird („Hänsel und Gretel“), ein Ort, aus dem ich erst heraustreten muß, um das Verborgene zu erkennen („Rumpelstilzchen“) oder als Ort einer Bewährungsprobe („Bremer Stadtmusikanten“). Die von einer Generation zur nächsten überlieferten Geschichten zeugen davon, wie gemeinsame Erlebnisse eine gemeinsame innere Gedankenwelt prägen und durch das Geschichtenerzählen fortleben.
Äußere Eindrücke gestalten unseren Wortschatz und unser Denken. Die deutsche Sprache ist reich an Wörtern, um die uns umgebende, konkrete Welt zu benennen, aber auch unsere Gefühle und das Seelenleben auszudrücken (wie Glück, Freude, Traurigkeit, Friede). Menschen schöpfen Wörter und Worte, um sich über ihre innere und äußere Erlebniswelt austauschen zu können, uns selbst, unser Inneres zu erhellen, uns und die uns umgebende Wirklichkeit zu beschreiben. Dabei gestaltet auch umgekehrt das innere Auge mit, was das äußere Auge sieht und wahrnimmt.
Ohne unsere Geschichtenerzähler und Dichter könnten wir am Wald vorbeigehen, uns den Forstbestand ansehen und den Baumbestand kartieren, ohne uns innerlich berührt zu fühlen. Wie anders ist es, mit einem Gedicht Joseph von Eichendorffs oder den Waldschilderungen Adalbert Stifters im Kopf durch den Wald zu gehen, den Vögeln zu lauschen, die schattige Kühle des Waldes zu genießen, den Sonnenstrahl durch die Lichtung brechen zu sehen und laut vor Freude aufzujuchzen ob des Verborgenen und Schönen rings um uns.
Wald ist Bäume und mehr als Bäume, er ist eine Labung für die Seele, ein Ort der Begegnung mit der Natur und ihren Jahreszeiten, ein geistiger Erlebnisort und ein Ausdruck unseres Verwurzeltseins in unserer Heimat.