Die verlorenen Worte
Gift
VERDREHTES WORT
Ahd.: „etwas, das man jemandem gibt“, „Gabe, Unterstützung, Geschenk, Eingebung, Barmherzigkeit“.
Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Gift gilt in der deutschen Sprache als veraltet: Als Tätigkeitswort gift stammte es von „haben“ ab und wurde auch für Begriffe wie „begütert, reich, wohlhabend“ genutzt. Worte wie Gifter, „der Gebende“, und begiften für „begeben, beschenken“ sind ebenso veraltet. In dem heute noch gebräuchlichen Wort die Mitgift ist es uns erhalten geblieben: Es kann für alles eingesetzt werden, was „(jemandem etwas) mitgeben“, „jemandem etwas oder eine Eigenschaft mit auf den Lebensweg geben“ in seiner Bedeutung enthält.
Interessant an diesem Wort ist die Tatsache, dass es heute noch im englischen Sprachraum in diesem Sinne vorhanden ist und dort die ursprüngliche ahd. Bedeutung von „Geschenk, Gabe“ hat.
Gift, das, Hauptwort, ahd. medizinisch-wissenschaftlicher Begriff für „natürlicher oder künstlicher Stoff, der bei der Einnahme eine schädliche bis tödliche Wirkung hat“. Dies ist die heutige noch einzige gebräuchliche Bedeutung für das Wort Gift, welche damals auch zeitgleich mit der ursprünglichen Bezeichnung für „Gabe“ genutzt wurde.
„Des Kaisers Wort ist grosz und sichert jede Gift,
doch zur Bekräftigung bedarfs der edlen Schrift.“
(Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), aus: „Faust II“, 1832)
„Du nimmst zuletzt doch auch
für deine Schriften,
so wie es ist der Brauch,
reichliche Giften.“
(Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), Gedicht)
„Dieses sind die Gift und Gaben,
Die uns über allen Neid,
Wann wir lange sind vergraben,
Heben sollen jederzeit;
Diese Schätz’ und Güter machen,
Daß wir Hohn und Haß verlachen.“
(Martin Opitz (1597–1639), aus: „An Herrn Esaias Sperern“, Ausgewählte Dichtungen, S. 38–41, Leipzig 1869)
„Was beginnen? Werd ich etwa,
meinen Lebenstag verwünschend,
rasch nach Gift und Messer greifen?
Das sei ferne! Vielmehr muß man
stille sich im Herzen fassen.“
(Eduard Mörike (1804–1875), aus: „Trost“, Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, S. 750, München 1967)